
Die Kante entlang
Interview mit Keita Miyairi
Der Künstler Keita Miyairi erzählt uns von seinem Leben, den lebendigen Mustern seiner Katazomefärberei und warum er sich von den traditionellen Wegen von Mingei abwendete.
Fotos: Kazufumi Shimoyashiki
Koordinierung: Taisuke Kijima
Redaktion & Text: Tamio Ogasawara



Katazome ist eine japanische Färbetechnik, bei der Muster auf Tücher oder Papier mithilfe von Schablonen und Nori (japanischer Leim, der der Farbe widersteht) gedruckt werden. Zuerst schneidet man die Schablone zurecht (links). Danach wird sie auf das Tuch gelegt und Nori aufgetragen (unten). Das Nori behält die Form der Schablone und lässt diese Bereiche ungefärbt. Bambusstäbe namens Shinshi werden an das Tuch befestigt, damit der Leim über Nacht trocknet (rechts).
Kollektivität in Beliebigkeit finden
„Die Entwürfe sind Dinge, die ich hier und da zufällig aufschnappe, ein natürliches Resultat des Strebens nach Reinheit oder Kunst ohne das Künstliche, das ist Katazome. Nichts, das du planen oder dir vorstellen kannst. Deshalb behalte ich alle Schablonen. Ich habe sie nicht allein hergestellt. Das klingt vielleicht etwas angeberisch, aber sie sind das Produkt eines beliebigen Vorgangs. Das Ego wird ignoriert und die Dinge bleiben bescheiden. Ohne dass wir es wollen, geschieht etwas Neues. Deshalb behalte ich Berge von Schnipseln, die später für andere Projekte verwendet werden. Dies betrifft nicht allein die Formen. Andere Variablen, wie die Stärke des Papiers und wie schnell man das Messer bewegt, können etwas so Einfachem wie einer Linie Leben einhauchen. Wenn der Leim aufgeweicht wird, verliert man etwas die Kontrolle über die Farbentwicklung und wechselt vom Egoismus zur Kollektivität. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass ich mich weiterentwickle, wenn ich meine eigenen Einschränkungen akzeptiere. In diesem Sinne lasse ich meine Arbeit ihre eigene Ebene finden. Früher arbeitete ich wesentlich präziser, aber seit zwei Jahren fühle ich mich freier. Da ich ein Extrembeispiel für Autodidakten bin, sehen Ausgebildete meine Arbeit und wundern sich eventuell, was in aller Welt ich da treibe.“

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Sobald der Leim getrocknet ist, wird die Farbe auf das hängende Papier oder Tuch aufgetragen. Keita färbt die Rückseite, bis die Farbe auf die Vorderseite durchgedrungen ist. Traditionellerweise beginnt man mit einem hellen Farbton.
Jenseits von Mingei, Einfluss aus den USA
Das Ziel ist nicht, Handwerk zu verfeinern. Einflüsse aus den USA haben Keita zu dem Punkt geführt, an dem er seine Kunst losgelöst betrachten kann und es in Ordnung ist, darüber zu lachen. Als Barry McGee aus San Francisco seine Kunst in der Perrotin Galerie in Paris ausstellte, hingen Keitas Arbeiten in einem Raum mit Werken befreundeter Künstler:innen. Es fühlte sich wahllos an. Was diese Kunstschaffenden von der landläufigen Meinung in Japan und dem japanischen Temperament trennt, ist dass sie Handwerk und Kunst ohne Bezug zueinander betrachten und sich nicht um den Erfolg ihrer Arbeiten sorgen. Ohne jegliche Schnörkel, was du siehst, bekommst du auch. Dies mag wie die Weisheiten von Mingei klingen, aber in Ikebukuro in Tokio aufzuwachsen, bedeutete für Keita in der Skateboard- und Graffitiwelt aufzuwachsen. Kunst, die man nicht mit volkstümlichem Handwerk in Verbindung bringt.

„Ich liebe Graffiti und habe es bis Mitte zwanzig sehr ernst genommen. Wenn du dasselbe hundert Mal schreibst, hörst du auf, darüber nachzudenken. Und wenn du ein Kunstwerk mehrere hundert Mal zeichnest, hörst du irgendwann auf, es richtig machen zu wollen und arbeitest instinktiv.“ Ich glaube die Schönheit, die im Handwerk von Mingei verborgen liegt, ist etwas, das sich in Katazome radikal vervielfacht. Wenn du jedoch versuchst, etwas absichtlich zu malen, erkennen die Leute das. Deshalb bleibe ich impulsiv und schneide meine Schablonen so schnell, dass sie fast schludrig wirken. Ich messe dem ersten Versuch viel Bedeutung bei. Bei einem Fehler fahre ich fort. Fransen bleiben erhalten. Warum es ändern? In den USA ist ausgefranstes Material ein Kennzeichen zeitgenössischer Kunst. Das habe ich von Barry und dem großartigen Samiro Yunoki gelernt. Was mich ursprünglich an Mingei faszinierte, waren die Katazome im Matsumoto Museum für Volkskunst in Nagano, wo ich von Zeit zu Zeit das Familiengrab besuche. Das veranlasste mich, das Japanische Museum für Volkskunst in Tokio besuchen, wo ich von Yunokis Arbeiten überwältigt war und entschied, es selbst auszuprobieren. Also trat ich der Tokio Mingei Organisation bei, nahm an Workshops teil und half bei Yunokis Ausstellungen aus. Ich kümmerte mich um den Parkplatz und die Schuhe am Eingang und betrachtete seine Arbeiten, wann immer ich konnte. Bevor ich mit Katazome begann, baute ich Prototypen für Plastikfiguren. Ich habe schon immer gerne gezeichnet und modelliert. Aber eine Form 1 mm nach dem anderen auszuschneiden, war nichts für mich.

Keita verwendet eine geheime Zutat, um den Pigmenten mehr Fülle zu verleihen.

Unten links ist die Arbeit zu sehen, die er während unseres Besuchs herstellte. Das Bild auf Seite 69 wurde mit einer Schablone angefertigt, die ursprünglich weggeworfen werden sollte. Laut Keita „eine Art Glasgefäß.“

Unten rechts is ein älteres Muster zu sehen, dessen Farbvariationen durch unterschiedliches Auftragen umso interessanter wirken.
Unterricht, Erbe und die Farbe Rot
„Ist dieses Rot nicht großartig?“, fragt Keita und erzählt uns, dass Yunoki ihm beibrachte, die Farben nicht zu mischen. Er zeigte ihm auch, wie man den Leim herstellt. Wenn er bei Yunokis Ausstellungen arbeitete, konnte er gelegentlich einige Worte mit dem Meister wechseln.
„Wenn es nach Yunoki geht, sollte man sechs, nicht mehr als acht Farben verwenden. Er sagte auch, man soll ungelenk sein dürfen. Er würde es nicht gern hören, aber ich füge meinen Farben eine geheime Zutat bei, um sie erstrahlen zu lassen. Sie werden lebendig. Ich besitze diese dunkle Seite, die ich gern zum Ausdruck bringe. Vor ungefähr zehn Jahren renovierten wir das Haus und bauten mir einen provisorischen Arbeitsplatz. Wenn du lange Stoffbahnen färbst, musst du sie aufhängen, um sie färben und trocknen zu können, aber meine Familie schlief direkt darunter und ich habe mich ständig an den scharfen Kanten der Shinshi gestoßen. Yuniko wird dieses Jahr einhundert und das Japanische Museum für Volkskunst plant eine große Ausstellung nächstes Frühjahr. Ich werde auf jeden Fall dort sein, die Schuhe am Eingang aufräumen, den Leuten beim Parken helfen und hoffentlich kann ich ihm einige meiner neuesten Arbeiten zeigen.“
UNIQLO Tragetaschen, die Keita gefärbt hat, hängen von der Decke. „Ich halte es gern schlicht“, erzählt er und wir freuen uns, dass er stets UNIQLO trägt. Am Fenster seines Arbeitsplatzes hängt ein Druck von Seotsu Yanagi, den er vom Japanischen Museum für Volkskunst erhielt. Der Titel lautet „Klarer Himmel voraus“. An sonnigen Tagen geht Keita oft in den botanischen Garten in Koishikawa und zeichnet Pflanzen. Wenn seine Tochter Cho Zeit hat, begleitet sie ihn. Sie geht noch in die Grundschule, hat aber schon begonnen, ihrem Vater mit eigenen Katazome Konkurrenz zu machen. Keita bleibt in Kontakt mit Barrys Assistent Tyler Ormsby. Sie motivieren sich gegenseitig, nie mit ihrer Arbeit aufzuhören. Vor kurzem schickte mir ein Freund aus Kagoshima frischen Tee aus Chiran. Als ich die Kanne näher betrachtete, fiel mir auf, dass das Design eine Arbeit von Keita ist.

Figuren stehen aufgereiht auf den Regalen, eine Erinnerung an Keitas Tage als Produktdesigner. Die Taschen links sind Beispiele für seine Arbeiten auf Baumwolle, wie jene für UNIQLO.

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Aufgenommen im Pacifica Collectives in der Nähe des Nippon Budokan. Das Kammbild an der Wand ist eines seiner Meisterwerke und wurde mithilfe von Überbleibseln hergestellt.

Pacifica Collectives
Ein Geschäft, das die Grenze zwischen Einrichtung und Kunst verschwimmen lässt. Ansässig in Tokios historischem Matsuoka Kudan Gebäude. Die Flagge mit dem Yen-Symbol stammt von Keita. Seine Ausstellung kann vom 9. bis zum 24. September besucht werden.
GEÖFFNET 12:00 - 18:00 Uhr GESCHLOSSEN, sonntags, montags und an Feiertagen
Keita Miyairi
Künstler der Katazomefärbung
Geboren 1974 in Tokio. In seiner Jugend ist er Liebhaber von Graffiti. Bevor er Katazome für sich entdeckt, arbeitet er als Designer für Plastikfiguren. 2021 findet seine erste Einzelausstellung im Einrichtungsgeschäft Pacifica Collectives statt, die ihm zu internationaler Aufmerksamkeit verhilft.