Hallo, Jil
Designerin Jil Sander, die seit den 80ern an der Mailänder Fashion Week teilnimmt, feierte dank ihrer zukunftsorientierten Designs internationalen Erfolg. Elf Jahre nach ihrer ersten +J Kollektion in Zusammenarbeit mit UNIQLO kehrte sie im Herbst 2020 zurück.
Was führte sie auf den Weg des Modedesigns? Was inspirierte sie zur damaligen +J Kollektion?
Wir stellten Jil 16 Fragen über ihre Philosophie, ihre täglichen Routinen, Gegenstände, die sie immer bei sich trägt und ihr Arbeitsleben.
Jil Sander @ Peter Lindbergh
Designerin Jil Sander, die seit den 80ern an der Mailänder Fashion Week teilnimmt, feierte dank ihrer zukunftsorientierten Designs internationalen Erfolg. Elf Jahre nach ihrer ersten +J Kollektion in Zusammenarbeit mit UNIQLO kehrte sie im Herbst 2020 zurück.
Was führte sie auf den Weg des Modedesigns? Was inspirierte sie zur damaligen +J Kollektion?
Wir stellten Jil 16 Fragen über ihre Philosophie, ihre täglichen Routinen, Gegenstände, die sie immer bei sich trägt und ihr Arbeitsleben.
1. Was ist das erste, das du morgens machst, wenn du aufwachst. Hast du eine tägliche Routine?
Meine morgendliche Routine ist ganz simpel. Ich öffne alle Fenster für meine Meditations- und Yogaübungen. Außerdem trinke ich morgens gerne heißen Kaffee aus einer French Press.
2. Erzähl uns etwas über einen grundlegenden Gegenstand, ohne den du nicht leben kannst.
Ich halte Kobayashi Issas Haiku-Sammlung in einer zweisprachigen Ausgabe von Lewis Mackenzie in Ehren. Oft nehme ich das Buch mit auf Reisen.
3. Welchen Einfluss hatte die Landschaft Norddeutschlands auf dich (oder deine Designs)?
Ich wuchs im vom Krieg zerstörten Hamburg auf. Meine ersten Erfahrungen hatten also nicht viel mit Natur zu tun. Aber Hamburg ist durch Schiffsrouten mit der Ostsee verbunden und ich war umgeben von Wasser. Als Hafenstadt hat Hamburg mehr Kanäle und Flüsse als Venedig. Meine ersten Eindrücke der Natur waren die wechselnden Farben des Himmels und deren Reflektionen auf dem Wasser. Später lebten wir in einem Haus auf dem Land, nicht weit von Hamburg. Dort gibt es einen beeindruckenden Ausblick auf Ackerland, Wälder und Wiesen. Ich habe den Ausbruch des Grüns im Frühling schon immer geliebt. Da Norddeutschland sehr windig ist, können ganz plötzlich Schneewolken am Himmel vorbeisegeln und die Tonalität grundlegend ändern. Das Licht hier ist berühmt für seine Reinheit und Brillanz. Es ist so rein, fast schon röntgenartig. Dieses Licht hat mich schon immer in meine Entscheidungen bezüglich des Materials beeinflusst. Nicht nur hinsichtlich der Farben, sondern auch der Qualität des Materials. Du kannst niemanden hinters Licht führen. Jedes kleinste Detail wird hervorgehoben. Nur die beste Qualität besteht den Test.
4. Wie sehr hat dich die Philosophie des Bauhauses während deines Studiums an der Staatlichen Ingenieurschule für Textilwesen in Krefeld beeinflusst?
Viele ehemalige Lehrer und Studenten des ursprünglichen Bauhauses fanden eine Lehrstelle an der Schule in Krefeld, während andere Industriegebäude und Stoffmuster für die Krefelder Textilindustrie designten. Mies van der Rohe hat wiederholt für die Seidenindustrie vor Ort gearbeitet und außergewöhnliche Gebäude erschaffen. Als ich der Schule beitrat, war der Einfluss des Bauhauses noch immer stark. Und natürlich hatte auch die Bauhaus-Architektur großen Einfluss. Ich fühlte mich bestätigt, die Dinge auf die pure Form zu reduzieren.
5. Erzähl uns von dem Moment, in dem du beschlossen hast, Modedesignerin zu werden.
Ich begann meine Karriere als Redakteurin einer deutschen Modezeitschrift. Ich organisierte und betreute Fotoshootings. Meistens hatte ich Probleme, den Look zu kreieren, den ich mir vorstellte. Um die einzelnen Designs, die wir fotografieren sollten, zu verbessern, erzählte ich den Produzenten von meinen Ideen und schlug Änderungen vor. Und weil ich damit nicht aufhörte, trat irgendwann der größte Produzent von High-Tech-Stoffen auf mich zu und machte mir ein Angebot, für ihn zu arbeiten. Letztendlich war es viel befriedigender, die Kleidung selbst zu designen als schon vorhandene Mode zu fotografieren, die nicht immer meiner Ästhetik entsprach.
6. Was bedeutet die Farbe Schwarz für dich in Bezug auf Kleidung?
Ich erwähnte bereits das brillante Licht in Norddeutschland. Viele so genannten schwarzen Stoffe werden dem nicht gerecht. Darum nenne ich schwarze Färbungen, nach denen ich suche Double Black. Sie verblassen nicht in Kombination mit Weiß und kreieren einen starken, grafischen Kontrast.
7. Deine Designs sind unglaublich vielfältig bezüglich der Muster und Silhouetten. Hast du eine persönliche Regel beim Designen?
Ich zeichne nicht, ich designe am Körper und führe viele Anpassungen durch. Deshalb bin ich mir immer aller Winkel und der dreidimensionalen Form bewusst. Die Anprobe führt zu neuen Formen und Proportionen. Mein Auge ist mein stärkstes Werkzeug. Ich sehe was falsch oder veraltet ist und auch woher die Energie kommt und wann ein Design modern aussieht. Ich denke auch immer an die Kunden und deren unterschiedliche Bedürfnisse. Figur, Größe und Teint variieren. Dementsprechend versuche ich die Kollektion so vielfältig wie möglich zu designen.
8. Wie hast du deine kreativen Ideen mit UNIQLOs Produktionsfertigkeiten in Bezug auf die aktuelle +J Kollektion kombiniert?
UNIQLO hat viel Erfahrung und Wissen bezüglich der Textilherstellung. Die Möglichkeiten sind endlos und inspirierend. Dazu gehören die gut geölte Logistik, das Einbringen der japanischen Kultur und das meisterhafte, detailreiche Handwerk.
9. Erzähl uns etwas über die aktuelle +J Kollektion. Was verbirgt sich hinter den Designs?
Ich arbeite weder mit Visionen noch mit Musen und auch nicht allein mit einem Moodboard. Meine Kreativität liegt im Anprobieren und Experimentieren mit den Stoffen. Ich schließe gleichzeitig aus und stoße in bestimmte Richtungen vor. Wie ich bereits sagte sind meine Augen auf die entstehende Form abgestimmt.
10. Hat sich deine Gefühlslage seit der letzten +J Kollektion 2009 verändert?
Alles hat sich scheinbar geändert. Selbst in der Mode. Wir sind von bestimmten Formen gelangweilt, die wir mit der Vergangenheit verbinden. Auch das Material und die Produktionstechnologien entwickeln sich weiter. Neues Material braucht neue Lösungen für verschiedene Schnitte und Muster. Ohne den Zeitgeist erklären zu wollen, spüre ich das Bedürfnis nach zeitgenössischer Differenziertheit. Ich fühle die heutigen Anziehungskräfte, Spannungen und Harmonien.
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11. Gärtnern ist eine deiner Leidenschaften. Wie hat sich deine Ansicht auf die Welt beim Designen von Räumen, anders als bei deiner Mode, verändert?
Um genau zu sein, gibt es keinen Unterschied, weil ich immer architektonisch denke. Ich strebe nach kraftvollen Möglichkeiten im dreidimensionalem Raum. Seit vielen Jahren gestalte ich einen englischen Garten auf dem Land. Ich bin jedoch auch ein großer Fan der großartigen Garten-Designerin Gertrude Jekyll, einer Zeitgenossin der Arts & Crafts Bewegung, deren eher intime Designs in produktiver Spannung zum klassisch englischen Garten miteinander funktionieren. Mein Garten bietet mir beides, sowohl große Einblicke als auch abgelegene Plätze, eingezäunte Rosen und Gemüsegärten, und meditative Leere. „Ein Garten ist ein guter Lehrer“, schrieb Gertrude Jekyll. „Er lehrt Geduld und Achtsamkeit; er lehrt Fleiß und Wirtschaftlichkeit; vor allem aber lehrt er vollstes Vertrauen.“
12. Erzähle uns von jemandem, den du bewunderst.
Ich bewundere Lorenzo „Renzo“ Mongiardino, den italienischen Architekten und Bühnenbildner, der leider 1998 verstarb. Ich vertraute ihm das Innendesign meines Hauses in Hamburg an und lernte währenddessen sehr viel. Gegen die Flut der Bewegung der Moderne und mit umfassendem Wissen der Techniken des Kunsthandwerks, erschuf er einen urtypischen, historistischen Stil, der heiß begehrt und unabhängig vom Zeitgeist war. Renzo überzeugte mich, mich von meinen Ideen loszulösen und eine Fantasie der Renaissance anzunehmen. Als wahrer Meister erarbeitete er sich das Interieur Schritt für Schritt und inspirativ. Er begann mit aus Holz geschnitzten Täfelungen eines Renaissance Theaters aus Venedig des 17. Jahrhunderts, die sich mit der Märchenwelt befassten. Danach erschuf er alles andere um sie herum. Ich lernte, Renzos Herzlichkeit und sein unglaubliches, geschichtliches Wissen und seine Kühnheit zu respektieren und zu bewundern. Er brachte mir bei, dass jede Epoche ihre eigene Wahrheit bietet, so lange du ihre größten Errungenschaften und wahren Bedeutungen betrachtest. Und dieser Kern ist nicht von Zeit abhängig.
13. Gibt es Bücher, die einen tiefen Eindruck bei dir hinterlassen haben?
Ich fühle mich am meisten zur russischen Literatur hingezogen, Dostojewski, Nabokov, Tolstoi, Tschechow, Gogol und Achmatowa.
14. Wie sehr hat sich Mode aufgrund neuer Technologien und Social Media verändert? Was sind die Vor- und Nachteile?
Heutzutage haben wir das Internet, Blogger, Instagram und vieles mehr. Social Media ist ein großartiger Antrieb für die Modeindustrie. Mode hat online eine Wiederauferstehung erlebt, wenn auch unter anderen Beduingungen. Und doch habe ich das Gefühl, dass wir online einen kritischeren Diskurs wählen müssen, um zwischen protzigen Looks und Designs, die tatsächlich den Look eines Menschen verbessern, zu unterscheiden.
15. Auf welche Materialien hoffst du in der Zukunft?
Natürliche Materialen und Hybriden, die gut für die Natur und den Planeten sind.
16. Welche Rolle spielt Kleidung, deiner Meinung nach, dabei, eine bessere Zukunft zu kreieren?
Sie sollte langlebig und reizvoll sein. Sie sollte ihrem Träger dienen und sowohl ihr als auch ihm Kraft und Selbstbewusstsein geben, was wir momentan wirklich brauchen.