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Interview mit Designerin Jil Sander

Interview mit Designerin Jil Sander

Wie Jil Sander die Gegenwart sieht

1. Sie vermeiden aufdringliche Mode-Statements und ziehen es vor, von der Entfaltung Ihrer +J-Idee zu sprechen. Was verstehen Sie darunter?

Ich möchte den Blick nicht plakativ manipulieren, sondern eher leise durch eine eigene Formsprache auf meine Entwürfe aufmerksam machen. Deshalb konzentriere ich mich auf die dreidimensionale Gestaltung und markante, sich in der Bewegung entfaltende Silhouetten. Was ich vermeide, sind unnötige Dekorationen, die von der Ausstrahlung der Trägerin und des Trägers ablenken. Aber ich lege sehr viel Wert auf Qualität, im Material, im Sitz und in der handwerklichen Verarbeitung.

2. Welche Rolle spielt dabei Ihre Handschrift als Designerin?

Meines Erachtens liegt die Handschrift mehr in einer generellen Herangehensweise. In meinem Fall im Interesse an hochwertigen und innovativen Materialien und der damit verbundenen Entwicklung unverbrauchter Silhouetten, an in die Form integrierte Funktionalität und handwerklicher Perfektion im Detail. All das sehe ich als Voraussetzung für die Langlebigkeit der Entwürfe. Die Kollektion als solche ist auch ein Statement. Mir liegt daran, dass alle Teile miteinander im Einklang stehen und dieselbe Sprache sprechen.

3. Die Kollektion umfasst eine größere Auswahl an äußerer Kleidung, viele Daunenelemente und Mäntel. Besonders der lange Wickelmantel aus einem Kaschmirgemisch hat eine erfrischende Silhouette und wirkt sehr elegant. Würden Sie uns etwas zu seiner Entstehung sagen und einen Ratschlag hinsichtlich des Stylings geben?

Ich hatte das Gefühl, dass die Möglichkeiten dieser klassischen Teile noch nicht erschöpft sind. Ich habe inspirierende Stoffe gewählt, um eine neue Dynamik und ungewohnte Proportionen zu generieren. Der von Ihnen erwähnte Kaschmirmantel besitzt interessante Ärmel und einen Gürtel auf der Innenseite, der es erlaubt, den Mantel auf der Front elegant zu drapieren. Der Mantel ist feminin, aber man kann ihn auch sportlich kombinieren.

4. Oft denken die Menschen bei +J an Shirts, denn sie spielen eine Schlüsselrolle in dieser Linie. Würden Sie uns ein paar Tipps geben, wie man diese am vorteilhaftesten trägt?

Mir ist das weiße Shirt besonders lieb, weil es meiner Vorstellung von Purismus entspricht, aber es ist nur ein Element in einer komplexen Kollektion. Wenn Sie bei +J ein perfektes Shirt gefunden haben, bei dem die Details, die Modernität und der Sitz stimmen, dann suchen Sie dieselben angenehmen Eigenschaften auch im Jackett und der Hose, die Sie dazu anziehen werden. Heute trägt man Shirts über der Hose, anstelle einer Jacke oder eines Kleids; deshalb nimmt die handwerkliche Durchdachtheit einen noch größeren Stellenwert ein. Kombinieren Sie das Shirt mit einem schweren Mantel, um einen Kontrast von Stärke und Empfindlichkeit zu erzeugen, oder man trägt den Mantel einfach auf nackter Haut.

5. Sie haben das Konzept dieser Saison mit folgendem Satz umschrieben: “Unsere Welt bereitet sich auf einen Neuanfang vor, die Stimmung ist nüchtern, doch hoffnungsvoll. Komfort steht im Zentrum, verbunden mit einer attraktiven, zeitgemäßen Eleganz.” Wie spiegelt sich diese Haltung in der Kollektion?

Wir haben uns von der Pandemie noch nicht gänzlich erholt und sind verhalten optimistisch. Wir kehren ins gesellschaftliche Leben zurück, aber haben das Bedürfnis, uns beschützt zu fühlen. Die aktuelle +J-Kollektion erforscht Oversize-Silhouetten mit kontrolliertem Sitz und auch neue Varianten substanzieller Winter-Klassiker. Bequemlichkeit ist uns lieb geworden. Wir möchten die persönliche Hülle fühlen.

6. Was hat Sie zu der Farbpalette der Herbst/Winter-Kollektion inspiriert? Sie haben in dieser Saison pulsierende Rottöne und Blau integriert.

Leuchtende Weißtöne und Variationen von Rot sind eine Energiequelle, die sich gut für Shirts und Strickteile eignet, wenn die generelle Farborientierung der Kollektion sich bei Schwarz, Navy, Graphit, Khaki und Karamellvarianten bewegt. Die vorwiegend gedämpfte Palette lenkt die Aufmerksamkeit auf die Volumen, Schnitte und Silhouetten.

7. Erzählen Sie uns etwas über die Taschen in dieser Kollektion.

Generell hat sich unsere Vorstellung von Taschen im letzten Jahrzehnt verändert. Die praktische Nutzung und durchdachtes Design sind uns wichtig geworden, und wir sehen uns eher nach Unisex-Formen um. Taschen sind unentbehrliche Bestandteile unserer Ausrüstung, wir konsultieren sie so oft wie unsere Smartphones. Im Zentrum standen für mich ausreichender Raum für die Unterbringung von Dingen, Handlichkeit, eine attraktive zeitgemäße Form und die Verwendung von solidem, taktilem Leder. Der große Shopper kann auch eine Aktentasche ersetzen.

8. Was macht diese Kollektion mit ihren Mänteln, Sweatshirts und Strickteilen zu etwas Besonderem?

Die Kollektion konzentriert sich auf prägnante Silhouetten, neu durchdachte Klassiker, sinnliche Texturen. Im Zentrum stehen Wertigkeit, luxuriöses Handwerk und attraktive Proportionen, die unserem wachsenden Bedürfnis nach Komfort entsprechen.

9. Was bedeutet Ihnen +J?

Für mich ist +J ein Laboratorium der Zukunft. Ich versuche dem Gestalt zu verleihen, was ich als werdende Realität um mich empfinde. Ich hoffe, die aktuellen Wünsche und Bedürfnisse einzufangen und entsprechende anziehende Kombinationen zu entwerfen, die uns dabei helfen, uns erneuert zu fühlen und im Einklang mit dem gegenwärtigen Moment.